Isergebirgsradtour 03.-05. 10. 1997 im Rückblick

Alle Wetterberichte waren gleicher Meinung: das lange Wochenende vom 03. bis zum 05. Oktober sollte kühl bis kalt und regnerisch werden. Die Tage davor stimmten schon mal darauf ein. So kam es, daß sich am Freitag noch bei tiefster Nachtschwärze nur vier Gestalten - eine Dame und drei Herren - auf ihre Räder schwangen um, mißtrauisch gegen Petrus, jedoch voller Hoffnung, einen frühen Zug gen Osten zu erreichen. Zwar blies der Wind kräftig, aber der Regen, der noch am späten Vorabend kalt vom Himmel floss, hatte aufgehört.

Im Zug trafen wir uns, wie gesagt, und gelangte nach diversen Umsteigeaktionen nach Görlitz. Dort fuhren wir aus dem Bahnhof und staunten erstmal nicht schlecht: Die Autos, die am rechten Straßenrand standen und die wir als parkend angesehen hatten, standen in der Warteschlange vor dem Grenzübergang nach Polen. Wir kamen mit unseren Rädern schon nach vielleicht 10 Minuten zur Grenze, die Autofahrerer dagegen mußten sicher einige Stunden warten. Aber das war schließlich nicht unser Problem. Zgorzelec verließen wir Richtung Süden, um nach einer knappen Stunde bei Zawidow abermals eine Grenze zu passieren. Nach einem kleinen Happen und einer kleinen Pause in Habartice, dem ersten Ort auf der tschechischen Seite, fuhren wir entlang von apfelbaumbestandenen Chausseen. Zwar fing es nun etwas zu nieseln an, aber das herrliche Aroma der Früchte, die uns von beiden Seiten verlockend unter dem nassen Blätterdach hervor anleuchteten, ließ dies belanglos werden. Schließlich kamen wir nach Frýdlant, wo die angepeilte Kneipe natürlich gerade geschlossen hatte. So besichtigten wir zuerst einmal den Weihnachtsberg, der hier steht, und suchten uns dann eine andere Speisestätte, was - kein Wunder - nicht lange dauerte.

Mit dem guten Smazeny Syr und dem noch besseren Bier im Bauch fuhren wir uns dann Richtung Hejnice und Bilý Potok warm und danach im Tal der Smedá hoch ins Isergebirge noch wärmer. Wenn schon nicht von außen, so wurden wir wenigstens von innen heraus naß. An der Smedava war dann aber die meiste Höhe geschafft, noch ein kurzer Anstieg, und dann hätten wir Gelegenheit gehabt, im kalten Fahrtwind hinunter zum Misthaus zu trocknen. Aber man ist ja vernünftig, schließlich zeigte das Thermometer nur 2-3 Grad an.

Nach kurzer, flotter Talfahrt erreichten wir also das Misthaus. Drinnen hatte Gustav gerade wieder ein Zielgruppenkollektiv für eine Verkaufsschau, was wir uns nicht entgehen ließen. Nachdem wir - mit äußerster Rücksicht auf die Katze - Platz genommen und den Ausführungen des Redners minutenlang zu folgen zumindest versuchten, sahen wir bei einem zufälligen Blick durch eines der beschlagenen Fenster Gestalten mit zugezogenen Kapuzen. tropfend und in sich zusammengekrochen. Tja, uns hatte es zum Glück nicht getroffen. Als wir wieder ins Freie traten, war der Regen schon gefallen; und nur mein Zelt, daß ich wegen des ungewissen Andrangs bei Gustav vorsichtshalber mitgenommen hatte, war ein wenig naß.

Das neue Misthaus ist sozusagen eine weitgehende Rekonstruktion des alten, abgebrannten. Einzig das neue, helle Holz macht - befindet man sich in der Stube - den Unterschied. Natürlich wird der aufmerksame Beobachter diverse Utensilien der alten Zeit vermissen, aber es gibt ebenso attraktive ,,Neuteile``. Das Obergeschoß ist derzeit nicht in Zimmer unterteilt, sondern ein einziger Schlafboden. Hier konnten wir unsere Schlafsäcke unterbringen, um uns Schlafplätze zu sichern. Als ich nach einer guten Stunde nochmal nach oben ging, fand ich meinen Schlafsack nicht mehr. Nun, da der Schlafsackausstattungsgrad unter den Misthausgästen nahezu 100 % erreichen dürfte, war anzunehmen, daß er noch irgendwo herumliegt, bloß: wo? Obwohl ziemlich viele so aussahen wie meiner, fand ich meinen Schlafsack nach kurzem Suchen doch wieder. Des Rätsels Lösung: Gustav hatte väterlicherweise die Flächendichte der Schlafmöglichkeiten durch Neuordnung deutlich erhöht. Das sollte noch - aber erst mitten in der Nacht - Folgen haben ...

Wir begaben uns am frühen Abend ins Alte Zollhaus (Stara Celnice), um uns unseres leiblichen Wohls zu kümmern. Danach gabs im Misthaus Dias, und schließlich verschwanden die meisten, wie auch wir, nach oben zum Schlafen. Irgendwann ging das Licht aus, nur noch der Schein der Lampen im Erdgeschoss liess das Dunkel gemütlich sein. Plötzlich riß mich lautes Gerufe aus meinem Dämmerzustand. In breitestem Dräsdner Sächssch vernahm ich immer wieder ,,Wo issn mei Schlofsack ?! Wo issn mei Schlofsack ?! ``. Eine große Gestalt, von der der Lärm ausging, bewegte sich in eine Ecke des Schlafbodens und zerrte - unter weiterdauerndem Ausrufen obigen Spruches - einen Schlafsack mit einem bis dahin darin schlafenden Mädchen hoch, an die er seine bereits bekannte Frage nun direkt, aber mit nicht minderer Frequenz, richtete. Zum Glück konnte ihm einer der Umliegenden den gesuchten Schlafsack zeigen, sonst hätte dieser Mensch das Mädchen wahrscheinlich ausgeschüttet und wäre an dessen Stelle in den dann freien Sack gekrochen. Genau derselbe Mensch fiel am nächsten Tag durch weitere Peinlichkeiten auf. Offenbar begreifen manche Leute nicht, daß es nicht reicht, oft ins Misthaus zu fahren, um dazuzugehören ...

Am nächsten Tag wollten wir ein wenig durchs Isergebirge radeln, sozusagen von Kneipe zu Kneipe. Beim Losfahren hatten wir aber beachtlichen Gegenverkehr. Offenbar wurde gerade eine Isergebirgsradwettfahrt veranstaltet. Ein kleiner Nervenkitzel war schon immer mal drin, wenn einem die Wettkampffahrer auf ihrer Abfahrt auf breiter Front entgegenkamen, und dann plötzlich noch einer von hinten nach außen zum Überholen ausscherte. Nach einigen Kilometern bogen wir ab und freuten uns schon unserer Ruhe, jedoch: nach ein paar hundert Metern wurden wir gewahr, daß wir gleich wieder auf die Wettkampfstrecke gelangen würden. Glücklicherweise fuhren wir nun in die gleiche Richtung wie die Wettfahrer. Schließlich trennten wir uns endgültig von der Masse der numerierten Radler, um uns auf eine Abfahrt Richtung Antoninov zu begeben. Der tiefste Punkt unseres Tagesausflugs erschien uns genau richtig für ein ordentliches Mittagessen, wonach wir hinauf zur Lesni chata in Bedrichov aufbrachen, wo wir glaubten, uns an Palatschinken laben zu können. Aber Pustekuchen. Offenbar war an dem Tag schon genug Heu eingefahren, wir wurden jedenfalls nicht mehr bedient. Nun, so mußten wir, obwohl in unseren Mägen doch schon wieder Platz gewesen wäre, schweren Herzens weiterfahren. Wieder ging es hoch ins Isergebirge, um die Jizera herum und auf abschüssigem Weg zur Smedava. Dort bekamen wir endlich, wonach uns gelüstete.

Da uns an diesem Nachmittag solch Ungemach widerfahren war, hielten wir uns am Abend dazu - wieder im alten Zollhaus. Ein Gang nach dem anderen wurde bestellt, wobei sich die Küche hin und wieder mit ,,zu kleiner Kapazität`` entschuldigen ließ. Am Abend gab es im Misthaus wieder Dias.

Der Sonntag sah uns schon halb acht auf den Rädern. Statt der dichten Wolken der letzten Tage lag nur eine immer mehr aufreißende Nebeldecke über dem Gebirge, hin und wieder von der Sonne durchleuchtet. Ein wundervolles Farbenspiel bot sich uns: grün, gold, violett, blau, grau, immer wieder verhangen und neu freigegeben von den Nebelschwaden, dazu die tundraartige Landschaft (wenn sie auch nicht natürlichen Ursprungs ist): Das Isergebirge verabschiedete sich eindrucksvoll. Wir fuhren noch lange auf der Höhe dahin, zunächst südlich an der Jizera vorbei, später am steilen Nordabhang des Gebirges entlang, und dann auf einer schönen Abfahrt hinunter nach Oldrichov. In Chrastava frühstückten wir unterwegs gekaufte Sachen. Auf der Weiterfahrt wurde ein Bauzaun ein paar Meter mitgeschleift (was steht der auch so blöde rum ...), was aber weder dem Bauzaun noch dem Rad weiter schadete. Von Chrastava aus führte uns ein für Radfahrer ausgewiesener Weg (in der Art eines Trampelpfades) etwa 4 km bis Bilý Kostel, weiter nach Hrádek gelangten wir auf einer ruhigen Landstraße. Wir hielten uns hier links der Neiße, speisten noch einmal ordentlich, und radelten über den Fußgängergrenzübergang und auf dem Radweg weiter nach Zittau. Nachdem die Deutsche Bahn AG auf der Fahrt nach Görlitz am ersten Tag doch etliche Märker von uns gesehen hatte, war der Rückfahrpreis dank des Wochenend-Tickets erträglich. Dafür waren in Zittau die normalen Bahnsteige außer Betrieb, der Zug hielt an einem Behelfs-Holzbahnsteig, und natürlich so, daß die Packwagentür außerhalb lag. Weitere Erschwernisse gab es aber nicht.
Uwe Falke


Uwe Falke
10/14/1997