In großer Dankbarkeit von Heinz Eggert
Hruba Skala Bergsteigerfriedhof am 31.05.2009
Liebe Familie Ginzel, lieber Bruder Jaluška, liebe Freunde und liebe Misthaus-Gemeinde,
und ich begrüße auch den peruanischer Botschafter und den dienstältesten tschechischen Außenminister Jiři Dienstbier!
Es ist schon seltsam. Es gibt Menschen die leben und die nicht lebendig wirken, weil sie nichts ausstrahlen, die sich weder geistig noch körperlich bewegen und von denen auch nichts Anspruchsvolles kommt, weil sie selber keine Ansprüche an das Leben haben. Und dann gibt es Menschen, die nicht mehr da sind, die gestorben und trotzdem in uns ausgesprochen lebendig sind und uns umtriebig machen - so wie Gustav Ginzel.
Ganz gleich wo man auf der Welt jemanden trifft, der einmal im Misthaus im Isergebirge war und Gustav getroffen hat, ich bin gleich mit ihm im Gespräch - natürlich per DU –, wir sind voller Geschichten, begeistern uns an der eigenen Erinnerung, scheren beim Erzählen so sehr aus dem Alltag aus, so dass ein Nichtwissender sich fragt: Was ist dort nur passiert, im Misthaus im Isergebirge?
Ja manche Leute wissen sogar nur, das ist es dieses schöne Isergebirge gibt, weil dort das Misthaus stand. Ja, liebe Freunde, was ist da nur mit uns passiert? Da kann jetzt jeder seine eigenen Geschichten erzählen. Aber in allen Geschichten werden wir Gustav wieder finden. Ausgesprochen lebendig und liebenswert und manchmal nervend.
Wir werden ihn so wieder finden, wie er uns in dieser politisch zubetonierten Zeit (in der, lieber Pfarrer Jaluška, die Pfarrer nicht im Gefängnis arbeiteten, so wie Sie jetzt, sondern aus ideologischen Gründen im Gefängnis saßen), eine Zeit, die wir Gott sei Dank alle hinter uns haben - ohne die es aber auch nicht die segensreichen Wirkungen Gustavs gegeben hätte. Wir werden ihn so wiederfinden, wie er uns gastfreundlich aufgenommen, mit dem Öffnen seiner reich beschilderten Haustür Welten geöffnet und Horizonte weiter gesteckt hat, wie er uns dazu gebracht hat, freiwillig Essen, Trinken, Meinungen und Leben miteinander zu teilen - und das alles mit sehr viel Gelassenheit, Lebenserfahrung, Schalk und Humor. Logisch eben, wie Gustav es immer betonte.
Keiner verließ das Misthaus so, wie gekommen war. Und ich meine jetzt nicht die 60 Briefe und Karten - natürlich unfrankiert -, die Gustav mit auf den Weg gab, um sie in der DDR in den Briefkasten zustecken, damit sie an der Grenze nicht abgefangen werden konnten und in denen wahrscheinlich stand:
Nehme nur die nicht rauchen, nicht saufen, Nachtruhe einhalten, alles sauber machen, richtig ausgerüstet sind, gepflegtes Äußeres haben usw.
Also solche wie wir.
Ich meine auch nicht seine Aufträge, irgendwelche interessanten Straßenschilder abzuschrauben und beim nächsten Mal mitzubringen, damit seiner Sammelwut und dem Erstaunen der Besucher Genüge getan werden konnte, wenn sie Gustavs legendäre Hausführungen erlebten und die angebrachten Schilder, z.B. auf der wackligen Bodenstiege «Privatweg, Benutzung auf eigene Gefahr» lesen konnten und beim Schild «Notbeleuchtung» sogar noch Kerzen vorfanden.
Ich meine auch nicht die neuen Erkenntnisse, die Gustav schalkhaft vermittelte.
Dass offensichtlich Goethe im Misthaus gewohnt habe, weil ja sonst ein Schild «Hier wohnte Goethe nicht!» angebracht worden wäre. Logisch eben!
Auch die ernsthaften Erkenntnisse über Nord/Ostsee-Wasserscheiden, norwegische Findlinge, tausendjährige Eiben, über die Wüste Sahara, über Peru, dann wieder über misslungene illegale Grenzübertritte DDR/ČSSR usw. usw. sind nicht gemeint.
Nein, wir verließen das Misthaus anders, als wir gekommen waren,
mit einer großen Sehnsucht nach Ferne und Freiheit,
mit neu gefundenen geistesverwandten Freunden,
mit der Erkenntnis, wie wenig man eigentlich braucht, um aus dem Vollen
zu leben und nicht in der Fülle zu ersticken.
Wir wurden sensibler für Umwelt-und Zivilisationsschäden, für falsche menschliche Konventionen und unechte Phrasen in einer Zeit, in der private Umweltmessungen noch Staatsverbrechen waren.
Gustav war ein anschaulicher glaubhafter Lehrer, weil er das, was er sagte, auch lebte. Wer ihn nur auf seinen Humor, seine Verschmitztheit, seine Schlagfertigkeit und seine schwejkschen Eigenschaften reduziert, tut ihm unrecht.
Er war ein gutmütiger, ernstzunehmender, hoch intelligenter und nachdenklicher Mensch, der sehr an den Wunden litt, die ihm das Leben geschlagen hatte.
Oftmals vom Geheimdienst abgeholt und verhaftet.
Auf wenn er scherzhaft behauptete, die Kommunisten hätten ihm das Leben gerettet, weil sie ihm 1970 keine Ausreisegenehmigung für die Expedition in Peru gegeben hätten. Er konnte nur mit innerer Bewegung und Tränen in den Augen darüber sprechen. Auf den Tag genau vor 39 Jahren, am 31. Mai 1970, vernichtete nach einem Erdbeben ein gigantischer Bergsturz die Stadt Yungay und das Leben von ca. 20'000 Einwohnern. Bei diesem Bergsturz wurde auch das Basislager der 15-köpfigen tschechoslowakischen Bergsteigermannschaft unter meterhohen Geröllmassen begraben. Gustavs Freunde kamen alle um. Im Winter waren sie noch beim Isergebirgs-Lauf mitgelaufen.
Hier, auf diesem Friedhof, wo wir heute Gustav Ginzels gedenken, sind auch ihre Gedenksteine.
Vielleicht aber, wollte Gott ihn damals noch nicht haben, damit wir ihn haben konnten. 1995 ist sein Misthaus in den Himmel aufgestiegen. Gustav ist ihm jetzt gefolgt. Deshalb sollten wir, bei aller Traurigkeit, dankbar sein, dass wir ihn hatten, seinen Geschwistern und besonders seiner Schwester danken, dass sie sich so aufopferungsvoll in den letzten Jahren um ihn gekümmert haben.
Es macht die Wüste wertvoll, dass sie einen Brunnen birgt, sagt ein altes
arabische Sprichwort.
Es machte das Isergebirge wertvoll, dass es ein Misthaus barg,
dem Gustav seine Seele gab.
Auf jeden Krempel gehört ein Misthausstempel!
Nicht nur auf jeden Krempel, auch wir sind geprägt worden.
Wir haben heute wirklich viel Grund zur Dankbarkeit!
Mit freundlicher Genehmigung von Heinz Eggert